Ein Leben für die Ozeane
Das Reich der Meergeister, das ich besucht habe, liegt in einer Luftblase auf dem Boden des Ozeans. Die Meergeister, die mich und meine Begleiter in Empfang nehmen, tragen grünliche Umhänge, ihre Größe und Körper sind menschenähnlich, aber das Gesicht ist länglich oval, grünlich, glatt, konturenlos, darin sind nur große Augen zu erkennen, Nase und Mund kann man höchstens ahnen.
In der Luftblase ist eine Stadt errichtet, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Die Häuser bestehen aus den Edelsteinen des Meeres und sind mit Muscheln geschmückt. Der Stil ist verspielt und ähnelt unseren mittelalterlichen Häusern mit spitzen Giebeln und Türmchen. Es ist viel Grün verbaut und dazwischen sind die anderen Farben eingefügt. Sie haben eine künstliche Sonne, wenn ihre Strahlen auf die Edelsteine und Muscheln treffen, funkeln sie, dass es eine Pracht ist.
Inmitten eines riesengroßen Areals ist ein Schloss errichtet, das von einer dicken Mauer umgeben ist. „Manchmal müssen wir kämpfen“, sagt einer unser Begleiter, „dann flüchten wir alle hinter die Mauern des Schlosses.“ Die Mauern bestehen nicht aus Edelsteinen, sondern wirken stabiler, wehrhafter.
Der Schlosskomplex hat eine extra Luftkuppel für den Fall, dass die Stadt geflutet wird – auch das ist möglich. „Es ist nicht nur eine Luftkuppel“, greift ein Meergeist meine Worte auf, „sie wäre als Schutz nicht stabil genug, wir schützen das Schloss noch mit anderen Kräften. Wir haben viele Möglichkeiten, die ihr Erdenmenschen nicht kennt. Ihr seid zu bedauern.“
Wir erreichen die Mauer, die sich wie von Zauberhand ein Stück zur Seite schiebt. Vor uns schwingt sich eine Brücke über einen Graben. Das Wesen neben mir lächelt. „Wir brauchen keine Brücken, wir haben sie für euch errichtet.“
Die Meergeister sind nicht auf ihre Füße angewiesen, sie schwimmen nicht nur im Wasser, sondern auch durch die Luft. Das sieht witzig aus. Hinter der Mauer befinden sich zwei weitere Schutzmauern, die man von außen nicht sehen kann. „Werdet ihr so oft angegriffen, dass ihr so viele Mauern braucht?“
„Das Böse lauert überall“, erhalte ich als Antwort. „Hier unten gibt es zudem Kräfte, die mit anderen Waffen kämpfen, als das Böse. Doch darüber wird euch der König aufklären.“
Nachdem wir die letzte Mauer passiert haben, stehen wir in einem riesengroßen Palasthof. Ich kann mir vorstellen, dass hier das gesamte Volk der Meergeister Platz findet. Der Hof ist von Gebäuden gesäumt, die so bunt und verspielt sind wie die Häuser der Stadt. Aus einigen Ställen schauen Seepferdchen. Ich muss bei diesem Anblick lachen. „Wir benutzen sie gern als Reittiere.“ Es wundert mich, dass die Meerestiere an der Luft leben können. „Nun ja, wir haben unsere Mittel und Möglichkeiten …“
„Wir selbst“, erläutert jetzt ein anderer Begleiter, „können sowohl im Wasser als auch an Land atmen. Wir arbeiten im Meer, aber es ist für uns angenehmer, in einem trockenen Bereich wie diesem Luftraum zu leben und zu wohnen.“
Weiter hinten steht ein prachtvolles Gebäude. Es ist nicht verspielt wie die Stadthäuser, sondern ähnelt einem Renaissancepalast. Da muss der König residieren! Der Meeresboden ist jetzt mit Mosaiken bedeckt. „Die sind von den Römern. Wir haben sie aus ihren untergegangenen Schiffen geholt.“
Der Weg wird auch von Gold gesäumt, Geschmeide und Amphoren …
„Wir holen uns alles, was schön ist. Warum soll es auf dem Meeresboden verrotten? Ihr Menschen habt eine Ader für die Kunst, wir erfreuen uns daran.“
Es gibt auch antike Statuen. Sie sind so schön, dass sich jedes Museum um sie reißen würde. Aphrodite, Pallas Athena, Isis, Pegasus … Alle Zeiten und antiken Völker sind vertreten.
Der Palast ist nicht aus Edelsteinen, sondern aus Marmor errichtet. „Marmor hat eine Qualität, die Edelsteine nicht haben. Ihr wisst, dass Marmor Informationen speichert. Edelsteine können das auch, aber Marmor kann es bedeutend besser.“
Die Türen des Palastes öffnen sich und wir betreten einen Audienzsaal mit vielen Stühlen an den Wänden. So muss es früher in den Schlössern ausgesehen haben, wenn die Menschen darauf warteten, vom Schlossherrn empfangen zu werden.
Ich höre ein dröhnendes Lachen. „Wir übernehmen Ideen, die uns gefallen, und ahmen sie nach.“ Der König und die Königin stehen vor uns. Wir verbeugen uns tief und zeigen ihnen die Ehrerbietung, die ihnen gebührt.
„Erhebt euch“, sagt er. Jetzt kann ich das Königspaar näher betrachten. Die Königin hat hüftlange, blonde Haare und trägt ein weißes Kleid, das bis zum Boden reicht. Ihre Haut ist grünlich, aber etwas heller, als bei den anderen Meerwesen. In dem glatten Gesicht kann ich ein paar Konturen ahnen, wodurch sie wunderschön aussieht. Der König ist etwas größer als seine Frau und hat dunkle, leicht wuschelige Haare, die den Eindruck machen, als würden auf seinem Kopf Algen und Meergras wachsen.
Beide haben eine menschliche Gestalt, aber die Gesichter sind anders. Das Auffälligste sind die riesigen, sprechenden Augen, deren Farbe zwischen Grün und Blau wechselt. Damit können sie bis zum Grund der Seele sehen.
Eben war der Saal fast leer, jetzt stehen überall Tische und Stühle. Das Königspaar bittet uns, Platz zu nehmen, es selbst setzt sich auf thronähnliche Stühle. Eine Tür öffnet sich, eine Schar von Meergeistern strömt herein. Sie sind quirlig, lachen und tanzen durch den Saal und bringen uns Essen. Sie servieren eine Vielzahl von Leckereien, die das Meer bietet – aber keine Tiere, nur pflanzliche Kost: Algen, Tang und Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe, weil sie so tief unten im Meer gedeihen, dass sie bisher unentdeckt geblieben sind.
„Wir haben hier Felder, auf denen wir unser Gemüse anbauen. Ihr da oben wisst gar nicht, wie schön es hier unten sein kann. Aber nun esst erst einmal.“
Wir probieren. Lecker! Wo bekommen sie nur die Gewürze her?
„Ich habe doch gesagt, dass wir hier unsere Nahrung anbauen“, lächelt die Königin. „Für den Anbau bin ich zuständig. Mein Aufgabenbereich ist es, dafür zu sorgen, dass meine Bevölkerung genug zu essen und zu trinken hat und dass wir uns kleiden können.“
Die Königin freut sich, dass es uns schmeckt. Sie hat große, gütige Augen. Ich kann mir vorstellen, dass sie von ihrem Volk wie eine Mutter geliebt wird.
Jetzt spricht der König: „Meine Aufgabe ist es, so für das Meer zu sorgen, dass es funktioniert. Wir Wassergeister versorgen die Fische und kümmern uns um alle Lebewesen im Meer. Wir kümmern uns darum, dass das Wasser lebendig bleibt und Leben in ihm entstehen und wachsen kann. Ohne uns würde das Meer eines Tages umkippen. Der Mensch arbeitet daran, dass es passiert …“
Das Mahl ist beendet, Königin und König erheben sich.
„Folgt uns.“ Sie führen uns aus dem Palast an den Rand der Luftblase.
„Früher“, sagt der König, „war das Wasser dunkel, weil wir tief unten im Meer leben, aber es war kristallklar. Schau dir die Brühe an, die uns heute umgibt. Überall schweben Schmutzpartikel. Das Wasser der Meere ist nicht mehr sauber, es wird für uns immer schwieriger, das Leben zu erhalten.“
„Dann kommen eure Fischereiflotten mit ihren riesigen Netzen und fangen weg, was wir behütet haben. Ihr fischt alles weg, ohne etwas übrig zu lassen. Ihr seid zu gierig und unüberlegt. Es geht nur um Geld, nicht darum, den Hunger zu stillen. Die Fische landen auf den Tellern der Reichen, speziell, wenn sie selten sind. Die arme Bevölkerung an den Ufern unseres Meeres ernährt sich kaum noch von Fischen, weil es keine mehr gibt. Sie muss hungern und die Reichen schlagen sich mit den Tieren des Meeres die Bäuche voll.“
„Früher konnten die armen Fischer von ihrem Fang leben. Wenn der Mensch dem Meer entnimmt, was er zum Überleben braucht, ist das in Ordnung. Aber wenn der Mensch nimmt, um in Luxus zu schwelgen und immer mehr will, obwohl er keinen Hunger mehr hat, das billigen wir nicht.“
„Am liebsten würden wir die Arbeit einstellen, aber wir müssen an die armen Menschen an unseren Ufern denken. Wir können sie nicht dafür bestrafen, dass andere in Luxus leben wollen. – Ich glaube, wenn du das schreibst, wird das kaum einer von euch verstehen.“
Er scheint keine gute Meinung von den Menschen zu haben.
Die Königin besänftigt etwas: „Es ist in Ordnung wie es ist.“ Sie scheint anders zu sein als er. Sie hat etwas Mütterliches, das sich über ihr eigenes Volk hinaus auf die Menschen am Meeresufer erstreckt. Ich bin sicher, dass sie von diesen Menschen verehrt wird.
„Früher haben uns die Menschen verehrt. Sie haben zu uns gebetet, bevor sie aufs Meer gefahren sind, und haben uns für den Fang gedankt, wenn sie wieder am Ufer waren. Die Zeiten sind vorbei! Wir tun dennoch unsere Pflicht, weil wir dafür geschaffen wurden.“
„Aber es macht immer weniger Spaß“, wirft der König ein, „oder hättest du Lust, ständig im Dreck herumzuschwimmen?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Wir müssen es, weil es unsere Aufgabe ist, dieses Meer am Leben zu erhalten. Wir würden es gern säubern, aber wir kommen nicht dagegen an. Hat man eine Ecke geputzt, gibt es in einer anderen schon die nächste Ölkatastrophe. Glaub bloß nicht, dass ihr alles durch die Medien erfahrt. Wenn eine Katastrophe in aller Stille verläuft, wird sie nicht öffentlich bekanntgegeben. Es wird viel Raubbau betrieben und die Menschen, die nichts zu sagen haben, werden verdummt.“
Der König wird ziemlich laut: „Ihr, meine lieben Menschen, die ihr nicht an den Schalthebeln der Macht sitzt, ihr werdet verdummt.“
Ich denke, dass er Recht hat.
„Entschuldige bitte, dass ich etwas auffahrend geworden bin“, wendet sich der König an mich, „aber ich bin traurig, wenn ich sehe, was ihr mit dem Meer macht, ich könnte weinen. Meine Frau weint manchmal in meinen Armen, wenn sie das sieht.“ Ich glaube es ihm aufs Wort.
„Es sind nicht nur die Menschen, die versuchen, sich das Meer untertan zu machen.“ Er wird sehr nachdenklich. „Es gibt Wesen von anderen Sternen, die sich im Meer ausbreiten. Sie bauen hier ihre Basen und nehmen keine Rücksicht auf das Meer und uns. Sie nehmen sich das Land, das sie brauchen, egal, ob wir dort eine Stadt haben oder nicht. Sie sind eine Gefahr für die Menschheit!“
Der König erzeugt eine Projektion und vor mir sehe ich eine Stadt der Außerirdischen. Sie gefällt mir nicht. Sie befindet sich unter einer Glocke und besteht hauptsächlich aus Industrie-Anlagen.
Ich sehe die Außerirdischen und die scheibenförmigen Fluggeräte, mit denen sie reisen. Sie sind sehr beschäftigt. Ich glaube, sie planen nichts Gutes. Ich habe ein ungutes Gefühl.
Die Projektion erlischt. Von dem, was ich sehen konnte, habe ich Magendrücken bekommen. „Das ist eine große Gefahr“, sagt der König. „Ihr da oben müsst aufpassen. Das Schlimme ist, dass eure Machthaber davon wissen, aber sie haben keine Möglichkeiten, diese Wesen aufzuhalten.“
„Was wollen sie von uns?“, frage ich ein wenig ängstlich.
„Zuerst wollen sie das Meer erobern, weil sie auf die Nahrung aus dem Wasser angewiesen sind. Sie können die oberirdische Nahrung nicht essen. Sie beanspruchen den gesamten Ozean für sich und verdrängen uns mehr und mehr. Sie wissen nicht, was wir für das Meer bedeuten. Vom Wasser aus wollen sie die Erde erobern. Sie planen den Bau von Wasser-Farmen, um zu produzieren, was sie zum Überleben brauchen. Dafür können sie die Menschen höchstens als Sklaven gebrauchen. Der Mensch im Dienst dieser außerirdischen Wesen – ist das eine erstrebenswerte Zukunft für euch?“
Mich schaudert es. „Was können wir dagegen tun?“
„Arbeitet mit den Naturreichen zusammen“, antwortet die Königin. „Wir können euch Mittel und Wege aufzeigen, um sie zu bekämpfen. Wir selbst können es nicht, weil sie nur mit Methoden der grobstofflichen Welt zu besiegen sind. Wir können euch sagen, was ihr tun müsst. Es gibt noch viele andere Naturwesen, die euch helfen möchten, aber ihr müsst sie bitten. Doch solange die Menschheit nicht an sie glaubt, wird es diese Hilfe kaum geben.“
„Um die Gefahr aus dem Meer zu überwinden und Mutter Erde zu retten, müsst ihr zusammenarbeiten, sonst werdet ihr versklavt und dann habt ihr keine Gelegenheit mehr.“
„Wir Meergeister werden uns nie den Fremden unterwerfen, auch nicht, um das Meer zu retten. Die Erde ist nicht für sie bestimmt. Es gibt andere Planeten, wo sie sich niederlassen können, aber das Wasser als Nahrungsproduzent lockt sie an.“
„Auch ihr schätzt das Meer als Nahrungsproduzent, aber ihr müsst aufpassen. Zum einen, erschöpft nicht eure Nahrungsquelle, haltet das Wasser sauber. Zum anderen, achtet darauf, was passiert. Ich kann euch nicht mehr dazu sagen, ich sage nur, der Erde droht eine Riesengefahr.“
Ich bin tief erschüttert. Ich möchte nicht, dass die Erde von Außerirdischen übernommen wird und die Menschen versklavt werden. Ich weiß, dass die Menschen nicht nur gut sind, aber das haben sie nicht verdient. Der König und die Königin sehen mir meine Verfassung an. Sie legen ihre Arme um meine Schultern und führen mich weg.
„Sie werden die Erde nicht von heute auf morgen übernehmen. Hab‘ keine Angst, es dauert noch lange, bis sie so weit sind. Ihr habt die Chance, in dieser Zeit daran zu arbeiten, die Übernahme zu verhindern, aber nicht durch Waffengewalt und schon gar nicht durch eure grässliche Atombombe, sondern indem ihr mit den Naturreichen zusammenarbeitet, ihnen zuhört und ihren Rat annehmt.“
„Wenn die Menschen gegen sie kämpfen müssen, werden sie die Außerirdischen sehen können oder sind sie feinstofflich?“
„Sie sind feinstofflich, aber sie können sich auch zeigen – es ist wie bei den Elfen. Zurzeit gibt es nur wenige, die sie sehen, wenn sie auf der Erde herumlaufen, aber ihnen wird kein Gehör geschenkt und sie werden als Spinner verlacht.“
„Sind sie denn auch auf der Erdoberfläche?“
„Ja, sie sind schon auf der Erde und bereiten die Übernahme vor. Sie suchen Gebiete, wo sie ihre Farmen aufbauen können, denn sie wollen von der Erde aus ihren Mutterplaneten beliefern. Wenn sie die Menschen versklaven, werdet ihr ihre Rute spüren, ob ihr sie seht oder nicht. Wenn ihr überleben wollt, werdet ihr gezwungen sein, zu tun, was sie wollen. Sie kennen kein Pardon, was sich ihnen in den Weg stellt, wird niedergemetzelt.“
Ich bin geschockt. „Wo sind wir hier, im Marianen-Graben?“
„So ungefähr mein Kind.“
Ich hätte noch viele Fragen, aber kann sie nicht mehr stellen, mir kommen die Tränen. Sie nehmen mich in die Arme. „Es ist gut, dass du geschockt bist, das wollten wir erreichen. Trage die Warnung nach oben. Auch wenn die Menschen die Meere verschmutzen, möchten wir nicht, dass ihnen dieses Schicksal widerfährt.“
„Wenn du wieder Wassergeister besuchst, werden dich die fröhlichen Geister der Flüsse, Quellen und Bäche begrüßen. Sie haben andere Nachrichten für euch.“
Meine Begleiter sind still geworden. Wir verbeugen uns tief vor dem Königspaar, ich bedanke mich für die Informationen und alles, was ich sehen durfte.
Der Text wurden auszugsweise dem Buch „Elfen, Götter, Feuergeister“ entnommen.