Mit einem kreisrunden Stück aus dem Erdboden reisen meine Begleiter und ich in ein mit Schnee und Eis bedecktes Gebirge. Wir werden von einem Wesen abgeholt, das sich als „Eismensch“ bezeichnet. Es führt uns zu einem Gletscher. Eine Tür öffnet sich und wir betreten einen Saal aus Eis, in dem selbst die Tische und Stühle aus Eis bestehen. Es sieht aus wie in einem Eishotel.
Der Eismensch lacht. „Die Eishotels versuchen uns nachzuahmen, aber wir sind das Original. Ich sehe, dass euch kalt ist. Für Besucher, die selten sind, haben wir warme Sachen.“
Er greift hinter sich und reicht uns Pelze und warme Decken. Eigentlich mag ich keine Pelze, aber in dieser Umgebung ist nichts dagegen einzuwenden.
„Nehmt Platz“, sagt er.
Wir setzen uns auf die eisigen Stühle und hüllen uns in die Pelze und Decken. Es ist nicht gemütlich, aber man kann es aushalten.
Auf einmal stehen Gläser vor uns. Bei den eisigen Temperaturen müsste der Inhalt gefrieren, aber die Getränke bleiben flüssig.
„Wir haben unsere Geheimnisse“, lächelt er. „Bitte, steht auf, der König kommt.“
Vor uns erscheint eine faszinierende Gestalt, die aussieht wie aus Eis gemeißelt. Der König hat wunderschöne Gesichtszüge und trägt eine Krone aus Eis. Er bewegt sich so geschmeidig, als ob das Eis flüssig sei. So etwas habe ich noch nie gesehen.
„Wir sind aus Eis, aber wir können das Eis verflüssigen, sodass wir unseren Geschäften nachgehen können. Nehmt wieder Platz.“
„Ich bin der König der Eismenschen. Ihr habt noch nie von uns gehört?“
„Nein, ich dachte, wir sind in Shambhala“, antworte ich.
„Dies ist nicht Shambhala. Den Ort gibt es nicht so, wie du davon gelesen hast, aber das ist ein anderes Thema. Ihr seid im Reich der Eismenschen oder Eiswesen oder Eisgeister, wie immer du es nennen magst.“
„Ich habe noch nie von Eismenschen gehört.“
„Wir sind unbekannt, weil die Legenden nicht von uns berichten. Man muss hoch in den Norden oder tief in den Süden, hoch in die Alpen, die Anden oder den Himalaya reisen, um uns zu treffen. Wir sind da, wo das natürliche Eis ist.“
„Die wenigsten sehen und hören uns, auch wenn wir sie ansprechen. Ich bin froh, dass du mit deinen Begleitern gekommen bist, ihr seid uns willkommen. Ich möchte dringend mit dir reden.“
„Wir Eismenschen leben vom und auf dem Eis. Wir können ohne Eis nicht existieren. Der Klimawandel tötet uns. Das Eis schmilzt, unser Lebensraum wird immer kleiner.“
„Auch wir sind Kinder des Göttlichen und haben das gleiche Recht zu leben wie ihr. Aber ihr zerstört unseren Lebensraum, unsere Umwelt. Ich bitte euch von Herzen, hört damit auf, damit wir eine Überlebenschance haben.“
„Wir sind wichtig für diesen Planeten! Wir haben Wasser in Eis verwandelt, um das Gleichgewicht zwischen Land und Wasser zu halten, aber wir können es nicht mehr, weil ihr die Atmosphäre verändert. Wir können es bei normalem Wetter, aber nicht beim von Menschen verursachten Klimawandel. Ihr sägt an dem Ast, auf dem ihr sitzt. Wenn ihr so weitermacht, können wir das Wasser nicht mehr halten. Wir haben nicht die Kraft, die schmelzenden Wassermassen wieder in Eis zu verwandeln. Alles schmilzt und wir verlieren unseren Lebensraum und müssen weichen. Wir sterben nicht aus, sondern gehen in die Anderswelt. Aber wir wollen es nicht, es ist unser Planet, es ist unsere Aufgabe.“
„Ihr zerstört eure Erde, euren Lebensraum, unseren Lebensraum und den vieler anderer Wesen, die auf die Erde kommen, um dort zu leben. Merkt ihr nicht, was ihr euch antut und damit allen Lebewesen dieser Erde – von der kleinsten Mücke bis zum größten Elefanten? Seid ihr wirklich so blind?“
„Ich kann nur an euch appellieren: Hört auf damit! Seht nicht nur auf die Wirtschaft und Gewinne. Verteilt was ihr habt an alle und alle können glücklich sein.“
„Ich habe die Bitte: Hört auf, euch wie die Kaninchen zu vermehren. Die Erde braucht weniger Menschen. Praktiziert endlich Geburtenkontrolle und hört nicht auf eure Politiker, die sagen, ihr müsst mehr Kinder bekommen, damit die Wirtschaft genügend Arbeitskräfte hat. Alles Blödsinn, ihr braucht die Wirtschaft nicht. Ihr könnt auch mit weniger leben und genauso glücklich sein.“
„Ihr hetzt dem Geld hinterher, um euch das neueste I-Phone, das neueste TV-Gerät oder was weiß ich zu kaufen und vergesst dabei, dass das Streben nach Eigentum nicht der Sinn des Lebens ist. Werdet wieder spiritueller, auch das ist gut für die Erde. Je spiritueller die Menschen sind, desto weniger werden sie der Erde schaden und desto mehr Überlebenschancen haben wir.“
„Der Klimawandel ist momentan mit menschlichen Mitteln nicht rückgängig zu machen, aber er kann gestoppt werden. Dafür müssen sich die Länder der Welt zusammentun. Die Reichen müssen den Armen geben und die Armen müssen aufhören, sich ungehemmt zu vermehren. Man muss nicht sieben, acht Kinder haben, wenn man nichts hat. Es reichen zwei. Das sollen sich alle zu Herzen nehmen: Es reichen zwei Kinder. Wenn ihr mehr haben wollt, müssen sie aus Liebe gezeugt werden und nicht aus Zufall. Ihr sollt nicht abtreiben, sondern beim Sex besser aufpassen. Ihr sollt verhüten, damit die Erde nicht überbevölkert wird.
„Wir Eismenschen haben Angst um unser Leben auf der Erde. Die Menschen sind die einzigen, die uns retten können. Wir sind gern auf der Erde, wir nehmen unsere Aufgabe gern wahr, aber wir schaffen sie nicht mehr. Wenn ihr nicht aufhört, das Klima zu verändern, werden wir die Erde verlassen und keiner wird das Eis mehr halten. Es wird schmelzen, die Küstenregionen werden überfluten und Inseln untergehen – ein Schritt mehr zur Übernahme der Erde durch die Außerirdischen. Wollt ihr es so weit kommen lassen? Ich denke nicht und deshalb trage meine Botschaft zu den Menschen. Sie werden sagen, das haben wir schon oft von dir gehört, aber sie können es nicht oft genug hören, bis es sich in ihren Schädeln einbrennt und sie wissen, was gut und schlecht für sie ist.“
„Darf ich euch etwas anbieten?“
„Lieber Eismensch, wir haben noch unser Getränk. Entschuldige bitte, dass wir es noch nicht probiert haben.“
Ich setze mein Glas an die Lippen. Die Flüssigkeit ist warm und schmeckt angenehm nach Frucht.
„Auch im Eis wachsen Fruchtbäume, man muss nur wissen, wie man sie behandelt, damit es ihnen gut geht. Wir können das, denn wir leben mit dem Eis. Wir sind das Eis.“
„Ihr Menschen könnt im Eis keine Früchte ziehen, aber ihr habt genug andere Flächen, auf denen ihr Obst anpflanzen könnt. Auch wir lieben Obst und haben deshalb unsere Eisbäumchen. Du kannst dir beim nächsten Mal gern alles anschauen. Hier ist es spannend und anders als bei euch. Ich würde mich freuen, wenn du noch einmal zurückkommst. Wir erwarten dich. Doch jetzt verabschiede ich dich. Es war eine spannende Stunde mit dir. Ich wünsche dir weiterhin alles Gute.“
Er steht auf, dreht sich um und geht mit seinem Gefolge. Ich bin erschöpft von dem, was ich gesehen und gehört habe und froh, wenn ich zurück in meine Welt kann.
Die Scheibe holt uns ab. Wir steigen auf und sie fliegt davon.
„Halt, wir müssen noch einmal zurück, ich habe das Geschenk vergessen“, rufe ich.
Die Scheibe dreht um und landet wieder auf dem Eis. Der König ist noch da und unterhält sich mit ein paar Eismenschen. Er schaut verwundert, weil wir zurückkommen.
„Majestät, ich habe vergessen, Ihnen Ihr Geschenk zu überreichen“, entschuldige ich mich.
“Ich habe mich schon gefragt, warum du es wieder mitnimmst“, lacht er herzhaft. Er nimmt den Karton entgegen, öffnet die Schleife, das Papier und hebt den Deckel. Heraus springt – ein Clown, der dank einer Sprungfeder hüpfen kann.
Der König und sein Volk amüsieren sich köstlich.
„Wir haben gerade von Kindern gesprochen. Das ist es, was ihr machen sollt: Kindern Freude bereiten – so wie wir unseren Kindern gleich eine Freude machen werden. Danke für das schöne Geschenk.“
Wir verbeugen uns voreinander und verabschieden uns.
Gekürzter Auszug aus dem Buch: Von Einhörnern, Drachen und Reisen durch die Zeit